Das Frühlingstotenfest Qingming
Das chinesische Totenfest Qingming fällt nicht wie Allerseelen in den fröstelnd machenden Spätherbst, sondern in das lebenserweckende Frühjahr und so wird zu diesem Fest dem Ende, aber auch dem Anfang des Lebens gleichermaßen gedacht. An die Lebenserneuerung in der Natur erinnern sowohl der Name (das Gras ist frischgrün = qing, die Sicht ist klar = ming) wie auch die Sitte, sich an diesem Tage Weidenzweige in die Haare zu stecken. Selbst in den größeren Städten Chinas sieht man heute noch zu Qingming viele Kinder mit Weidenkränzen, dem alten Frühlings und Abwehrsymbol, stolz herumlaufen.
Die Kinder sind es auch, welche zum Frühlingstotenfest mit Begeisterung dem alten Brauch fröhnen, Drachen steigen zu lassen, ein heiteres Überbleibsel früherer Qingming-Traditionen, welche auch Hunderennen und Hahnenkämpfe umfassten.
Auf dem Lande – denn in der Stadt ist die Kremation zwingend vorgeschrieben – schütten die Erwachsenen drei Tage vor Qingming frische Erde auf die Gräber. Am Festtage selbst werden die Ruhestätten der Ahnen geschmückt und Opfergaben dargebracht. Heute haben sich zu den aus Papier gefertigten Häusern, Reitern und anderen Figuren papierene Autos, Waschmaschinen und TV-Geräte hinzugesellt, welche nach ihrer Verbrennung im Jenseits nützliche Dienste leisten sollen. Besonders im Süden Chinas werden in spektakulären Großformaten Opferbanknoten gedruckt, welche laut ihrer Aufschrift von der Bank des Höllenfürsten ausgegeben worden sind, damit der wirtschaftliche Aufschwung auch im Jenseits nachvollzogen werden kann.
Die Opferspeisen werden, nachdem sie den Ahnen angeboten worden sind, von der Familie selbst verzehrt, welche es sich dabei oft munter kauend und plaudernd bei oder sogar auf den Grabhügeln bequem macht. An dem von Allerseelen stark abweichenden Charakter dieses Feste, wie er von Martha Burkhardt beschrieben wird, hat sich nicht geändert:
„Während Kerzen und Weihrauchharze und Feuerwerkskörper entzündet werden, um neidische Geister von der Mahlzeit fernzuhalten, harrt die das Grab umstehende Verwandtschaft in feierlicher Stimmung des Augenblicks, da sie anzunehmen können glaubt, dass die geistigen Gäste vom Geiste der Speisen gesättigt sind. Dann tun sie sich selbst gütlich an den materiellen Resten. Ein merkwürdiges Gemisch von Wehmut und Frühlingslust erfüllt gewöhnlich die Teilnehmer dieser Gräberpicknicks. Meist sind sie recht vergnüglicher Art.“